Aus Prinzip Architektur

Rouven Ruppert
(IDG/Prof. Kohl)

Ist der Ort nicht mehr zu Grunde gelegter Entwurfsparameter können Architekturdiskurse jenseits konstruierter Kontext- und Identitätsdiskussionen geführt werden. Es rücken so Prinzipien, als zu eigen gemachte Grundsätze und Positionen in den Mittelpunkt des Entwerfens. Ziel ist es Architektur weniger aus Zwängen als vielmehr aus Überzeugungen heraus zu schaffen.

„Aus Prinzip Architektur“ ist vor diesem Hintergrund als inhaltliche und formale Auseinandersetzung mit dem Prinzip der bereits etymologisch angelegten Dichotomie aus Raum und space, der Linie im Gegensatz zur Raumdefinition über die Masse, sowie des Prinzips des Kreises als geometrische Figur und Organisationsform zu verstehen.

Der Raum (ahd.: rūmen) wird, seiner Wortherkunft entsprechend, im Gegensatz zum space als absolutes Ganzes geschaffen und zeichnet sich durch das dezidierte einfordern bestimmter Körperpositionen, bestimmter technischer Gesten im Sinne André Leroi-Gourhans aus. Space (lat.: spatium) wiederum ist vielmehr als Zwischenräumlichkeit zu definieren und somit das Resultat eines Verhältnisses von Körpern zueinander. Zwei gegensätzliche Raumvorstellungen prallen hierbei aufeinander.

Das Einfordern bestimmter Gesten beschreibt die Absolutheit und das Gewaltpotential architektonischer Räume. Das Einschränken oder sogar einfordern eines bestimmten Bewegungsablaufs macht das menschliche Maß zur Maßgabe aller Architektur.

Dem gegenüber stehen starke geometrische Figuren, welche sich von bestimmten abstrahierten Regeln ableiten. Der Kreis beschreibt exemplarisch diese Regel- oder Prinzipientreue in Form des immer gleichen Abstands der Kreislinie zum Zentrum. Seit jeher versteht sich Architektur als Vermittler dieser beiden Pole von Körperbezug und abstrahierter Geometrie. In diesem Spannungsfeld steht ebenfalls der zuvor beschriebene Kontrast aus Absolutheit und Relation, aus Raum und space.

Zu den Überlegungen eines prinzipiellen Architekturverständnisses stoßen nun Überlegungen für ein zeitgenössisches Bauen. Die Linie als Möglichkeit der Formbeschreibung jenseits der Masse ist als weiteres inhärentes Prinzip, als eigentlich Raumbildende Idee zu verstehen. Das räumliche Äquivalent hierzu ist das Stabwerk. Insbesondere das aus Stahl gefertigte ermöglicht die Herstellung eines maximalen Volumens bei minimalen statischen Querschnitten. In dieser Diskrepanz und der dadurch entstehenden Feinheit liegt die Poesie der durch das Stabwerk beschriebenen Strukturen. Das Stabwerk ermöglicht die tatsächliche Wahrnehmung von Linien im Raum.

Die textile Bespannung ergänzt das Stabwerk als Mittel der Wahl für ein Schließen ausgewählter räumlicher Grenzflächen. Die Linie des einzelnen Fadens in vielfacher Wiederholung und komplexer Fügung bildet das Textilband welches wiederum als Flechtwerk im maximalen Maßstab Verwendung findet. Die Fügung wird zur Kulturtechnik. Beide Materialgattungen, sowohl der Stahl als auch das Textil entspringen dabei auch dem Gedanken zu einer ephemeren und gänzlich recyclierfähigen Architektur.

Ausgangspunkt beschriebener Überlegungen ist wie zuvor verlangt nicht der spezifische Ort. Sehr wohl existieren jedoch Orte an denen eine Architektur des Prinzips wirken soll und kann. Die Dächer unserer Städte sind in weiten Teilen als ‚Nicht Orte‘ im Sinne Marc Augés zu bezeichnen. Mit hohem räumlichem Potential ausgestattet sind sie viel zu häufig jedoch ausschließlich funktional gedacht. In Anlehnung an Städtebauliche Utopien der zweiten Hälfte des 20. Jhd. stellen somit auch hier die Dachflächen der Bestandsstadt den vorgesehenen Ort des Wirkens dar. Dort oben wird eine Andersartigkeit möglich sein, ein inhaltliches und formales Korrektiv zum Status Quo.

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