Urbanes Grün für alle?

31. Januar 2024

Eine Review-Studie unter Mitwirkung des ILPÖ in Nature Cities weißt globale Ungleichheiten bei der Nutzung städtischer Grünflächen während der COVID-19-Pandemie nach.

Vier Jahre nach Beginn der COVID-Pandemie ist der damals ausgerufene große Wandel hin zu dauerhafter Entschleunigung und Nachhaltigkeit weitgehend ausgeblieben. Dennoch waren die Erfahrungen einschneidend genug, um eine neue Zeitrechnung «vor Corona» und «nach Corona» in den Sprachgebrauch zu integrieren. Auch hat sich, gerade in größeren Städten, ein neues Gefühl für den persönlichen Platzbedarf etabliert. Die Erfahrung, dass 2020 wichtige innerstädtische Freiräume wie Parks in manchen Städten für Wochen oder Monate komplett abgesperrt waren, hat schmerzliche Erinnerungen hinterlassen. Eine der alltäglichsten Selbstverständlichkeiten – ein Spaziergang am Wasser oder im Grünen – war auf einmal nicht mehr möglich.

Wir sehen die Nutzung von städtischen Grünflächen während und seit der Corona Pandemie als Indikator dafür, was den Menschen auch dauerhaft wirklich wichtig ist. Die Antwort auf die Frage, wie sich die tatsächliche Nutzung seitdem gewandelt hat, blieb allerdings voller Widersprüche. Untersuchungen an unterschiedlichen Orten auf der Welt zeigten sowohl starke Zunahmen als auch Abnahmen in der Nutzung von städtischen Grünflächen. Die Flut an wissenschaftlichen Veröffentlichungen macht es nicht einfacher herauszufinden, wo, unter welchen Umständen, und für wie lange Menschen verschiedene Typen von Stadtgrün genutzt haben. Mit einem mehrsprachigen Team haben wir deshalb systematisch >3,000 Veröffentlichungen zum Thema gesichtet und eine Teilmenge von fast 300 der besonders relevanten Studien ausgewertet (Kleinschroth et al. 2024).

Weltweit zeigt sich eine überraschend große geografische Diskrepanz in der Nutzung von Grünflächen vor, während und nach der Pandemie. Wir konnten diese Diskrepanz im Wesentlichen durch finanziellen Wohlstand erklären. Das heißt, im globalen Vergleich und auch innerhalb einzelner Städte hatten und haben nicht alle Menschen die gleichen Möglichkeiten Grünflächen zu nutzen. Zusätzlich zeigten klassische Parks häufiger Abnahmen in der Nutzung, während die Nutzung von privaten Gärten dauerhaft zugenommen hat. Soziale Ungleichheit manifestierte sich also in zweierlei Hinsicht: Menschen, die entweder in wohlhabenden Gegenden leben oder im Besitz von privaten Gärten waren (oder beides), hatten die Möglichkeit COVID-bedingte Einschränkungen durch vermehrte Aktivitäten an der frischen Luft auszugleichen. Menschen ohne diese Möglichkeiten mussten auf Vorteile für Gesundheit und Wohlbefinden verzichten, die mit dem Aufenthalt in Grünräumen allgemein verbunden sind. Dies wirft die wichtige Frage auf, wie wir mit der zukünftigen Stadtentwicklung eine gerechtere Verteilung von Grünräumen innerhalb urbaner Gebiete erreichen können.

Mehr Menschen denn je hegen den Wunsch nach eigenem Haus mit Garten. Es darf aber nicht sein, dass die Erfahrungen während der COVID-Zeit zu zunehmender Suburbanisierung und Verstädterung der Landschaft führen. Denn sonst gehen immer mehr Flächen für Biodiversität und Landwirtschaft verloren. Das Ziel der «doppelten Innenentwicklung» in der Stadtplanung lässt sich aber eben nur weiterverfolgen, wenn gleichzeitig auch der gerechte Zugang zu Grünräumen gewährleistet wird. In diesem Zusammenhang zeigen wir auch auf, dass die Nutzung von Wäldern, Gewässerufern und anderen naturbelassenen Gebieten in Städten während der Pandemie fast ausnahmslos zugenommen hat. Die Lösung für mehr urbanes Grün liegt also vor allem jenseits klassischer Parkanlagen. Informelles urbanes Grün, renaturierte Fließgewässer aber auch Brachflächen könnten stärker die für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Auch wenn vier Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie ein Spaziergang am Wasser oder im Grünen zumindest in europäischen Städten wieder eine Selbstverständlichkeit ist, bleibt die COVID-Zeit vielen Menschen als Umbruch in Erinnerung. Vielen ist klargeworden, dass Städte mehr sind als Orte von Verkehr, Handel und gebauter Infrastruktur, und dass Städte als sozial-ökologische Systeme auch Orte des Zusammenlebens von Menschen und Natur sind. Und dafür braucht es mehr gut zugängliche Grünräume als zuvor!

 

Link zum Originalartikel:

Kleinschroth, F., Savilaakso, S., Kowarik, I., Martinez, P. J., Chang, Y., Jakstis, K., Schneider, J., & Fischer, L. K. (2024). Global disparities in urban green space use during the COVID-19 pandemic from a systematic review. Nature Cities. https://doi.org/10.1038/s44284-023-00020-6

Kontakt

Prof. Dr. Leonie Fischer

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